Dieser Tage holte ich mal wieder meinen alten Hanhart Fliegerchronographen aus dem Jahr 1939 aus dem Safe. Bei dieser Gelegenheit kam mir die Geschichte des 1882 gegründeten Traditionsunternehmens in den Sinn. Immerhin handelte es sich bei den Uhrenfabriken Adolf Hanhart einstmals um den weltweit größten Fabrikanten mechanischer Stoppuhren. Im genannten Jahr 1882 eröffnete Adolf Hanhart in Diessenhofen ein schlichtes Uhren- und Schmuckgeschäft. Weil der ausgeprägte Geschäftssinn Hanhart’s in der relativ kleinen Ortschaft nur unzureichend zur Geltung kam, hielt der ambitionierte Unternehmer Ausschau nach adäquaten Entfaltungsmöglichkeiten. 1902 begab er sich in die aufstrebende Uhrenstadt Schwenningen am Neckar. Dort gedieh Hanhart zur größten handwerklichen Unternehmung der Region. 1920 erklärte sich der gerade einmal 18-jährige Sohn Wilhelm Julius, genannt Willy, nur unter familiärem Druck bereit, in das aufstrebende Unternehmen einzusteigen. Er hielt nicht sonderlich viel von der Uhrmacherei und dem Handel mit Zeitmess-Instrumenten. Das anfängliche Desinteresse änderte nichts an der Tatsache, dass gerade er das Haus Hanhart sukzessive in eine überaus erfolgreiche Zukunft steuern würde. Und das kam so: Der sportive Juniorchef erkannte eine Lücke. Dem deutschen Markt mangelte es an preiswerten Stoppuhren. Hanhart nutzte diese Defizite und lancierte 1924 die erste Volks-Stoppuhr aus deutscher Produktion. Von hoher Uhrmacherkunst war dieses Modell weit entfernt. Das Uhrwerk mit 24 Stunden Gangautonomie besaß eine simple, aber zuverlässige Stiftanker-Hemmung. Allerdings lastete das hauptsächlich saisonal ausgerichtete Stoppuhren-Geschäft den neuen Fertigungsbetrieb keineswegs aus. Auf der Suche nach weiteren Artikeln entdeckte Willy Hanhart das Potenzial preiswerter Taschen- und Armbanduhren. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1932 opferte Willy Hanhart das nicht sonderlich geliebte Uhren-Fachgeschäft auf dem Altar der weitaus einträglicheren Fabrikation von Uhren und Rohwerken. Dazu zählten u.a. das 10-linige Kaliber 34 mit vier Steinen und Stiftanker-Hemmung, die 19-linigen Taschenuhr-Kaliber 22 und 27 sowie das 8¾-linige Anker-Kaliber 36 mit 15 Steinen. 1934 ergänzte Hanhart den Schwenninger Betrieb zunächst um eine Filiale in Gütenbach. Bald schon unterbreitete die kleine Gemeinde ein wirtschaftlich ungemein verlockendes Angebot zur Verlagerung des Firmensitzes. Die Offerte fruchtete. 1938 bezog Hanhart dort ein stattliches Fabrikationsgebäude.
UHREN AM STANDORT
Noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs präsentierte die Manufaktur einen Verkaufskatalog mit insgesamt 45 Armbanduhr-Modellen, sechs Taschenuhren, acht Stoppuhren, zwei Sportuhren sowie einer Etuiuhr. Damit waren die künftigen Produktionsschwerpunkte bereits vorgezeichnet. Im Jahr des Umzugs begann die Kreation der ersten Ein-Drücker- sowie des legendären Flieger-Chronographen mit der 15½-linigen (Durchmesser 35 Millimeter) Kaliberfamilie 4x. Sie beinhaltete die Ein-Drücker-Version 40, das 41 mit zwei Drückern für Additionsstoppungen sowie das 42 mit Temposchaltung, was in modernem Sprachgebrauch einer Flyback-Funktion entspricht.
Besondere Kaliber-Kennzeichen waren Schaltradsteuerung sowie bei den Kalibern 41 und 42 asymmetrisch angeordnete Drücker. Die für militärische Cockpits bestimmten Exemplare brachten auch den signifikanten roten Drücker bei der „4“ ins Spiel. Hierbei handelt es sich um den Nullstelldrücker, welcher gerade bei der Ausführung mit Temposchaltung im Eifer des Gefechts ja nicht versehentlich betätigt werden sollte. Kurzerhand färbte ihn die besorgte Frau eines Piloten zur Warnung mit rotem Nagellack ein.
Eine zeitschreibende Legende war geboren, welche sich auch noch durch einen roten Farbtupfer auf der gerändelten Drehlünette auszeichnete. Dieser Merkpunkt erinnerte beispielsweise an den Ablauf eines längeren Zeitintervalls, das der Chronograph mit seinem 30-Minuten-Totalisator nicht erfassen konnte.
Die kriegsbedingte Dominanz derartiger Armbanduhren führte 1943 zur Einstellung der Taschenuhr-Produktion. Das Kriegsende brachte die vollständige Demontage des Fertigungsbetriebs mit sich. Französische Militärbeauftragte veranlassten deren Deportation nach Besançon, wo Lip mit Hilfe der Hanhart-Pläne die begehrten Piloten-Chronographen fertigen wollte. Willy Hanhart, inzwischen Schweizer Staatsbürger, wurde im Oktober 1945 inhaftiert und unter Anklage gestellt.
DIE ZEIT NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG
Schon gegen Ende der 1940-er Jahre konnte Hanhart die Uhrenfertigung wieder aufnehmen. Neben dem Armbandwecker „Sans Souci” gelangte auch der so genannte Volks-Chronograph ins Produkt-Portfolio. Hierbei handelte es sich um eine vereinfachte Version des bewährten Flieger-Chronographen, der keineswegs aus der Kollektion flog. Im Gegenteil: Der Katalog von 1950 pries dieses Instrument als „die zweckmäßige Uhr für den Ingenieur und Betriebsleiter” an. Die Referenz 417 ES war in sechs Lagen feinreguliert und besaß natürlich den gerändelten Drehring. Zur Regulierung verwendete Hanhart übrigens schon damals „astronomisch genaue, quarzgesteuerte Zeitwaagen”.
Ein berühmter Schauspieler dieser Zeit, zählte übrigens zu den bekanntesten Fans der Hanhart 417 ES Flyback. 1962 stellte das Unternehmen, welches zu einem der Weltmarktführer bei Stoppuhren avancierte, die Herstellung von Armbanduhren bis auf weiteres ein. In den folgenden Jahren gewann die Elektronik immer größere Dominanz und Hanhart entwickelte als Innovationsführer dieser Zeit ein eigenes, millionenfach verkauftes Quarzwerk. Im permanenten Wettkampf mit der fernöstlichen Billigkonkurrenz konnten die Gütenbacher jedoch auf Dauer nicht bestehen. Zu Beginn der 1980-er Jahre lehnte Hanhart ein Fusionsangebot von Jack W. Heuer ab, der sich bekanntermaßen auf verwandten Terrains bewegte und den ähnliche Sorgen plagten. Während Heuer einen unliebsamen Canossagang antreten musste, rettete die Konzentration auf Stoppuhren Hanharts wirtschaftliche Unabhängigkeit.
1992 übernahmen Klaus Eble, Schwiegersohn der Familie Hanhart, sowie drei Münchner Unternehmer die Mehrheit der Hanhart-Anteile. Im Zeichen des Aufbruchs stand 1997 die „Replika“ als Repräsentant einer neuen Generation. Die Gütenbacher griffen die traditionelle Uhrmacherkunst wieder auf und stellten mit dem Fliegerchronographen einen originalgetreuen Nachbau des historischen Modells von 1939 vor. Wie in guten alten Zeiten lässt sich der Drehring leicht, aber auch wohl definiert in beide Richtungen bewegen. Und das Zifferblattdesign bietet Instrumentenlook pur. Die auf 2.500 Stück limitierten Chronographen leiten eine neue Chronographen-Ära des Hauses Hanhart ein.
AUFBRUCH IN DIE ZUKUNFT
Nach einem Intermezzo unter dem Dach der Schweizerischen Beteiligungsgesellschaft Gaydoul Group, das 2010 begann,, befindet sich Hanhart seit 2014 erneut im Eigentum der Münchner CGI Management Consulting GmbH, welche das Unternehmen bereits von 1992 bis 2008 besessen hatte. Damit ist Hanhart wieder ein deutsches Unternehmen mit Uhrenproduktion am Stammsitz in Gütenbach, Schwarzwald. Die kaufmännische Leitung obliegt inzwischen Felix Wallner, einem studierten Wirtschaftswissenschaftler, der das Traditionsunternehmen wieder auf den einstigen Erfolgskurs dirigieren möchte.
Seine zweigleisige Vertriebsstrategie besteht zum einen in der Kooperation mit dem tradierten Fachhandel und andererseits in einer Onlineschiene, die den Fachhandel angemessen einbindet. Zu den ersten Maßnahmen des neuen Chefs gehörte eine vernünftige Anpassung der Publikumspreise. Nicht nach oben, wie gegenwärtig allgemein üblich, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Hanhart vertreibt seine Zeitmesser heute in einem Depotsystem mit reduzierter Händlermarge. Dadurch konnten die Publikumspreise in sehr angemessene Regionen bewegt werden.
Angesichts mehrmaliger Eigentümerwechsel wird gerne vergessen, dass Hanhart seit 1882 ohne jede Unterbrechung existiert und produziert hat. Das „Made in Germany“ steht hoch im Kurs, denn es gehört traditionsgemäß zu Hanhart. Auf der Gehaltsliste stehen gegenwärtig rund 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ihrer Arbeitskraft entspringen, man höre und staune, jährlich rund 12.000 mechanische Stoppuhren mit echten Manufakturkalibern.
Selbige stehen bei Oldtimer-Fans und Vintage-Rallye-Clubs weiterhin hoch im Kurs. Darüber hinaus offeriert Hanhart natürlich auch weiterhin die bewährten Armbandchronographen. Im modernisierten Retrolook präsentiert sich die „Pioneer“-Linie. Dabei greift der markante „TwinDicator“ die große chronographische Vergangenheit in besonderer Weise auf.
Nachdem das einstige Manufaktur-Handaufzugswerk zum einen nicht mehr zur Verfügung steht, andererseits den aktuellen Anforderungen aber auch nicht mehr genügen würde, kooperiert Hanhart mit dem einschlägig erfahrenen Schweizer Spezialisten La Joux-Perret. Der wiederum modifiziert für den anspruchsvollen deutschen Kunden das gleichermaßen bewährte wie präzise Valjoux/Eta 7750 oder den Klone Sellita SW 500 so, dass die ursprüngliche Optik erhalten bleibt. Wie bei den Originalen von 1939 stehen die Drücker unterschiedlich weit von der Krone ab. Das vorderseitig montierte Modul macht glauben, im Inneren ticke -wie einst- ein voluminöseres Kaliber. Zusätzliche Zahnräder bewirken eine Vergrößerung des Abstands der Permanentsekunde sowie der Totalisatoren von den beim 7750 üblichen 8,8 auf stattliche 12,2 Millimeter. Damit der zusätzliche 12-Stunden-Zähler den Eindruck vom Original nicht verwässert, rotiert er konzentrisch zur kleinen Sekunde bei der „9“. Und nun erstrahlt, getreu großer Tradition, auch wieder der Nullstelldrücker bei der „4“ in leuchtendem Rot. Wahlweise bietet das Kaliber zur Vervollkommnung des Retro auch eine Flyback-Funktion.
HÄRTER ALS KRUPPSTAHL
Diese Mechanik verhilft auch den 2013 lancierten „Racemaster“-Modellen zu einer imposanten Optik am Handgelenk. Doch damit nicht genug: Dezente aber ausgesprochen wirkungsvolle Hightech verhilft den Gehäusen eines zeitschreibenden Trios namens „Racemaster GT“, „Racemaster GTM“ und „Racemaster GTF“ zu beeindruckender Kratzfestigkeit.
An der extrem harten Oberfläche scheitert selbst das beste Schweizermesser. Wer nun auf Keramik tippt, liegt völlig falsch. Die 132 Jahre alte Traditionsmarke verwendet einen neuartigen, für den Uhren- und Schmuckbereich patentierten Stahl, entwickelt von der deutschen NB Technologie GmbH. Ihr Produkt, HDS Pro genannt, besitzt eine mindestens drei Mal härtere Oberflächenstruktur als konventioneller Edelstahl. Selbige macht Schalen rund 100-fach kratzbeständiger. Das ist jedoch keineswegs alles. In HDS Pro mit einer Härte von rund 700 Vickers findet sich keinerlei Nickel und damit kein bekanntes Allergiepotenzial. Nachdem es sich bei der Veredelung um einen thermochemischen Prozess ohne Beschichtung des Basismaterials handelt, bleibt die Oberfläche selbst bei strapazierender Behandlung lange Zeit so, wie sie die Produktionsstätte verlassen hat.
Für diese außergewöhnlichen Uhrenschalen kooperiert Hanhart mit einem deutschen Partner. Es handelt sich um den erfahrenen Pforzheimer Fabrikanten Fricker. Die Optik leidet unter der Vergütung übrigens nicht. Das Ganze sieht weiterhin aus wie Stahl. Die Korrosionsbeständigkeit muss Vergleiche mit konventionellem Chirurgenstahl nicht fürchten. Gratis gibt es den robusten Gehäuse-Mehrwert selbstverständlich nicht. Die Verwendung des schwierig zu bearbeitenden HDS Pro schlägt am Ende mit zusätzlichen 500 Euro zu Buche. Aber das sollte Uhrenliebhabern die quasi unendliche Schönheit allemal wert sein.
HERAUSFORDERNDES ENGAGEMENT
Das traditionelle Stehvermögen der Hanhart-Chronographen zeigte sich während der diesjährigen Abu Dhabi Desert Challenge, einer anerkannten fünftägigen Cross-Country-Rallye. Dort ging Stephan Schott mit seinem französischen Beifahrer Xavier Panseri in einem der „Mini All4 Racing“ des 2002 von Sven Quandt gegründeten X-Raid-Teams an den Start. Dieser faszinierende Typ Auto hat Geschichte geschrieben, denn Stéphane Peterhansel siegte damit bei der Abu Dhabi Desert Challenge 2011, der Dakar 2012 und 2013. 2014 siegte der Spanier Nani Roma in einem der Autos und 2015 tat es ihm der Katari Nasser Al-Attiyah gleich.
Während der Abu Dhabi Desert Challenge 2015 hatte sich Stephan Schott auf einen aussichtsreichen siebten Platz vorgearbeitet, als am vierten Wettkampftag ein spektakulärer High-Speed Crash mit sechsfachem Überschlag alle Podest-Träume schlagartig begruben. Bis auf eine Blessur am Finger blieb Stephan glücklicher Weise unverletzt. Auch sein Hanhart „Primus Desert Pilot“ im markanten Wüstenlook tickte hinterher so, als wäre nichts gewesen.
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